Die durch Kolonialismus, islamischen Terror und Bürgerkrieg traumatisierte Gesellschaft ist auf der Suche nach der eigenen Identität. Einparteienstaat und Sozialismus sind im Bewusstsein der algerischen Bevölkerung genauso gescheitert wie ein umfassender politischer Machtanspruch des Islam. Die westliche Demokratie lässt sich nicht einfach importieren; Algerien muss seinen eigenen Weg finden.
Anteil alphabetisierte Erwachsene 70%
Bedeutende Religion Islam (Sunni), 99%
Städtische Bevölkerung (2014) 70%
Lebenserwartung (w/m) 73 / 77 Jahre (geschätzt 2011)
Gender Inequality Index 85 von 155 (2014)
Anzahl der Geburten 2,8 pro Frau (2012)
Kindersterblichkeit 25 / 1000 Lebendgeburten
Makrosoziale Struktur
Die algerische Bevölkerung mit derzeit ca. 37 Mio. Einwohnern (je nach Quelle und Jahresbezug werden leicht unterschiedliche Zahlen verwendet) ist sehr heterogen strukturiert. Der Anteil der Araber wird mit 70%, der der berberischen Kabylen mit 30% angegeben, doch ist die ursprüngliche Bevölkerung nicht-arabisch, die gegenwärtige Struktur Folge eines Vermischungsprozesses. Die Gegensätze im Bewusstsein und der Selbstwahrnehmung sind erheblich. Die Kabylen nehmen sich von ihrer Kultur und Identität her sehr verschieden von den algerischen Arabern wahr, sind aber auch in sich differenziert, was auf die algerischen Araber gleichfalls zutrifft. So wird die Region des Mzab von den Mozabiten bewohnt, die weder kabylisch noch arabisch sind, sondern einer besonderen Strömung des Islam angehören (Charidschiten).
Nicht nur, aber besonders in dieser Region kommt es in jüngster Zeit immer wieder zu massiven Unruhen wegen der Konflikte zwischen arabischstämmigen und mozabitischen Algeriern, die die soziale und ethnische Heterogenität Algeriens widerspiegeln und seine Zukunft unsicher erscheinen lassen, was zu großer Nervosität im politischen Establishment bis hin zu Verschwörungsvorwürfen gegen ausländische Mächte geführt hat.
Die Bevölkerung Algeriens soll bis zum Jahr 2050 auf 50 Mio. anwachsen. Die Verteilung der Bevölkerung weist starke regionale Unterschiede auf. Über 90% der Bevölkerung sind im Norden Algeriens angesiedelt. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte lag Mitte 2001 bei 12,9 Einwohner/qkm. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag 2010 bei 70,3 Jahren (2000: 68,5), für Männer bei 68,8 und für Frauen bei 71,8 Jahren (je nach Quelle und Jahresbezug weichen diese Angaben leicht voneinander ab, laut CIA-Factbook liegt die Lebenserwartung derzeit bereits bei knapp 75 Jahren).
Das Bevölkerungswachstum lag 2014 bei 1,82%. Bis 2030 wird ein Rückgang (des Wachstums) auf 0,9 % erwartet. Knapp 70% der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Für das Jahr 2000 wurde die Zahl der Haushalte bereits mit 4,7 Mio., die durchschnittliche Personenzahl pro Haushalt mit 6,47 angegeben. Legt man diese Zahl für die jetzige Bevölkerungszahl von 37 Mio. Menschen zugrunde, kommt man auf derzeit über 5 Mio. Haushalte. Für 2030 wird ein Anstieg auf 12,5 Mio. Haushalte mit jeweils durchschnittlich 3,6 Personen erwartet.
Zwar gibt es in Algerien weder Hunger noch unmittelbare Not, die Situation wird jedoch vielfach als bleiern und aussichtslos empfunden. Insbes. die Vervierfachung der Bevölkerung seit 1962 von 10 auf über 40 Mio. führt dazu, dass für die nachwachsenden Generationen sich die Perspektiven verschlechtern. Daher ist gegenwärtig und für die Zukunft mit deutlichen Flucht- und Migrationsbewegungen zu rechnen.
Zwar hat sich Algerien bereiterklärt, algerische Staatsbürger, die sich in Deutschland als Syrer ausgegeben haben, wieder zurückzunehmen, es ist aber unklar, inwieweit diese Absicht umgesetzt wurde bzw. ob das Land wirklich Interesse daran hat. Ein erheblicher Teil der nachwachsenden Generationen wird daher auf absehbare Zeit Migrationschancen suchen und nutzen.
Regionen und regionale Disparitäten
Algerien kann man in vier Hauptregionen aufteilen: Ost, Zentrum, West und Süd. Über 90% der Bevölkerung leben in den de facto nördlichen Regionen Ost, Zentrum und West. Der Süden ist geografisch am größten, bevölkerungsmäßig aber am kleinsten. Daher ist der Süden Algeriens – südlich von Ghardaia, etwa 500 km von Algier nach Süden – fast menschenleer. Bis zur südlichen Grenze in Richtung Mali und Niger sind es aber von dort noch mindestens 1500 km, die weitgehend unbewohnt sind und hauptsächlich wirtschaftlich zur Öl- und Gasförderung oder in begrenztem Umfang touristisch für den Wüstentourismus genutzt werden.
Im äußersten Süden Algeriens in Reichweite der Grenzen zu Mali und zum Niger liegt auf 1400 Meter Höhe in angenehm trockenem Klima die Süd-Metropole Tamarasset, deren Bevölkerung in den letzten 20 Jahren von 50.000 auf ca. 100.000 gewachsen ist. Tamanrasset ist heute ein wichtiges Logistikzentrum für den Transsaharaverkehr zwischen Algerien und Niger. Die Stadt liegt an der Transsahararoute Algier–In Salah-Tamanrasset–Agadez, einem Teil des Algier-Lagos-Highway, der zu den Trans-African Highways gehört. Die Stadt verfügt über die besten Versorgungsmöglichkeiten der Region, mehrere Werkstätten zur Reparatur von Kraftfahrzeugen und einen Flughafen. Auch der
Sahara-Tourismus ist für die Stadt von großer Bedeutung. Sie ist beliebter Ausgangspunkt für Exkursionen ins benachbarte Ahaggargebirge, wo z.B. die Eremitage des ermordeten christlichen Märtyrers Charles de Foucauld gerne angefahren wird.
Die im Süden Algeriens lebenden Touareg sind anders als die Kabylen überwiegend kein spürbarer Fremdkörper im algerischen Staat, sondern haben sich mit dem Regime Bouteflika ohne besondere Begeisterung arrangiert. Durch den Bau von Schulen, medizinischen Einrichtungen, Elektrizität und Wasserversorung sowie durch Tourismus und Schmuggel wurden, anders als in Mali, die gröbsten Mängel beseitigt bzw. gewisse Einnahmequellen – auch Wohlstand – geschaffen. Allerdings gibt es Sympathien für die Rebellion der Touareg in Mali und Niger; einzelne algerische Touaregs aus den Reihen der algerischen Armee sind auf die Seite der malischen Rebellen gewechselt oder unterstützen salafistische Terrorgruppen, um die Zentralmacht zu schwächen und ihr eigenes Gewicht zu steigern.
Soziale Klassen und Schichten
Anders als in Tunesien gibt es in Algerien keine breite, wirtschaftlich unabhängige und politisch selbstbewusste Mittelschicht, sondern einen diffusen, schwer durchschaubaren Kreis von Nutznießern der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit. Die «Oberschicht» besteht aus den ehemaligen Unabhängigkeitskämpfern («Moudjahedine») bzw. Clans, die sich nach dem Sieg im Befreiungskrieg die Schlüsselstellungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft angeeignet haben.
Die Armee versteht sich als Hüterin der algerischen Souveränität und nimmt in Anspruch, das Land nicht nur von der französischen Kolonialherrschaft befreit, sondern auch vor der Bedrohung durch die islamistische Machtübernahme gerettet zu haben. Die Staatsbürokratie wurde in der Ära Boumedienne von der früheren Einheitspartei FLN aufgebaut und versorgte deren Angehörige mit lukrativen Posten und Positionen. Durch eine Vielzahl von bürokratischen Regeln, Vorschriften und Gesetzen wird sichergestellt, dass unliebsame Initiativen unter Verweis auf das Legalitätsprinzip jederzeit blockiert werden können.
In der algerischen Wirtschaft waren die Firmen ursprünglich in Staatseigentum und als Teil der Staatsbürokratie wurden sie staatlich gesteuert; Leitungspositionen wurden nicht nach Leistung vergeben, sondern aufgrund von Beziehungen, Loyalität und Zugehörigkeit zur regime- und staatstragenden Schicht.
Dieses Geflecht aus Abhängigkeiten und Beziehungen hat sich bis heute erhalten und stellt die größte Stütze des Regimes bzw. die algerische Oberschicht dar, ergänzt um Elemente, die nach dem Bürgerkrieg aus dem islamistischen Lager ins Establishment aufstiegen. Privilegien, Posten, Im- und Exportlizenzen werden innerhalb dieses «Lagers» aufgeteilt oder entzogen.
Demgegenüber steht die traditionelle kabylische Oberschicht, die sich zwar mit dem Regime zwangsläufig arrangiert hat, aber als «autochthone Aristokratie» zu diesem in einem Spannungsverhältnis steht. Ihr Aushängeschild ist der Industrielle Issad Rabrab, der Präsident der agro-industriellen Gruppe CEVITAL und anderer algerischer Firmen, Repräsentant der Privatwirtschaft, der darauf hinweist, dass Algerien angesichts einer 2025 zu erwartenden Bevölkerungszahl von 50 Mio. noch gewaltigere Arbeitsmarktprobleme bekommen wird als derzeit schon. CEVITAL ist das zweitgrößte Unternehmen in Algerien nach Sonatrach, der Staatsfirma für das Erdöl- und Erdgasgeschäft (vergleichbar mit der russischen GASPROM), einem intransparenten Gebilde, das vom Geruch der Korruption umweht ist.
Geschlechterverhältnis
Der Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich hatte die Geschlechterrollen teilweise infrage gestellt, da auch Frauen stark beteiligt waren – das gemeinsame Ziel Unabhängigkeit ließ die traditionell religiösen Unterschiede zwischen den Geschlechtern in den Hintergrund treten. Mit dem Erstarken des Islamismus verschlechterte sich aber auch wieder die rechtliche und tatsächliche Situation der Frauen.
Im Zuge der aufkommenden Islamisierung hat das algerische Parlament in einem Akt quasi vorauseilenden Gehorsams gegenüber den Islamisten am 9. Juni 1984 den «Code da la famille» beschlossen (von manchen auch «code de l’infamie», Gesetz der Gemeinheit, genannt) der den Frauen eine untergeordnete Position zuweist. Darin wird festgelegt, dass der Ehemann sich von seiner Frau jederzeit scheiden lassen und sie verstoßen kann, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass er weder für die verstoßene Frau noch für die gemeinsamen Kinder aufkommen und sie versorgen muss (wenn er die Kinder nicht behalten will, sonst fallen sie ihm zu) und das gemeinsame Domizil ihm gehört, die Frau also weggehen muss und ggf. obdachlos wird dass er das Recht auf Polygamie hat, nach islamischer Auslegung bis zu 4 Frauen, dass die Ehefrau das algerische Territorium nur mit schriftlicher Erlaubnis des Ehemanns verlassen darf («autorisation de sortie»)
2005 wurde der Code leicht modifiziert. Die Polygamie blieb erlaubt, allerdings hing sie formal von der Zustimmung der Erstfrau ab. Die gemeinsamen Kinder blieben bei der Mutter, und der Mann war zu ihrer Versorgung verpflichtet. Außerdem hing die Gültigkeit einer Ehe von der Zustimmung des Wali (Provinzgouverneurs) ab.
Nach Protesten und einer intensiven Diskussion in der Öffentlichkeit wurden weitere Modifikationen hinzugefügt: Die Polygamie wurde weiter eingeschränkt und hängt nun von der Unfruchtbarkeit der Erst- (oder Zweitfrau) ab. Außerdem benötigt der Ehemann dafür zusätzlich eine richterliche Genehmigung nach Anhörung der Erstfrau. Dies bedeutet, dass die Polygamie auf einen Ausnahmestatus bei Kinderlosigkeit reduziert wird, die Islamisten aber formal die Gültigkeit der Scharia beanspruchen können. Eine Genehmigung des Ehemannes für Reisen der Ehefrau ins Ausland ist nicht mehr nötig.
Andere diskriminierende Regelungen blieben in Kraft, z.B. dass ein ungläubiger Nachkomme von einem gläubigen muslimischen Elternteil (egal ob Mann oder Frau) nicht erbberechtigt ist (um den Übertritt von Kindern zu einer anderen Religion als dem Islam auszuschließen). Außerdem sind die Kinder einer nicht gläubigen Witwe (Ausländerin), deren Ehemann ein gläubiger Moslem war, selbst nicht eindeutig Moslems und daher möglicherweise enterbt, so dass die nicht-muslimische Witwe baldmöglichst zum Islam übertreten muss, um die Erbansprüche ihrer Kinder nicht zu gefährden.
Nach Ansicht von manchen Juristen könnte der «code de la famille» in seiner Gesamtheit zudem verfassungswidrig sein («anticonstitutionalité»).
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Der Verfasser ist auf dem PDF, was ich abgezogen habe, nicht ersichtlich. Die GIZ ist informiert worden, dass die Infos auf meine touristischen Länderseiten veröffentliche.